Zwischen Denkmal und Bahndamm entstehen in Dresden zwei zusätzliche Geschosse. Ohne Bebauungsplan planungsrechtlich nicht ganz einfach. Es zahlen sich aus: baurechtliche Expertise, fundierte Planung - und Geduld.
Urbaner Kontext und planungsrechtliche Ausgangslage
In unmittelbarer Nähe zum Bahnhof Neustadt trifft hier vieles aufeinander:
- Östlich verläuft die städtebauliche Schneise des Bahndamms.
- Westlich steht ein denkmalgeschütztes Verwaltungsgebäude aus den 1860er Jahren.
- Im Norden befindet sich ein Quartier, das zum Teil bereits mit einer Schule und einem Kindergarten bebaut worden ist und zum Teil wegen Altlasten brach liegt.
- Ein rechtskräftiger Bebauungsplan, der für die gegenüberliegende Straßenseite im Süden gilt, der aber nicht hilft, weil für den unbeplanten Innenbereich ausschließlich die gebaute Realität zählt.
- Die Lage innerhalb eines Bebauungsplans, der jedoch nicht über die Entwurfsphase hinausgekommen ist und daher nie Rechtskraft erhalten hat. Insofern gilt § 34 BauGB (»unbeplanter Innenbereich«).
- Die faktische Erschließung über den nördlichen, rückwärtigen Bereich, die jedoch rechtlich nicht gesichert ist, da der Bebauungsplan inklusive der Herstellung und Widmung öffentlicher Verkehrsflächen nicht rechtskräftig geworden ist.
Projektentwicklung als Aufgabenstellung
Der Auftraggeber, ein Dresdner Unternehmen, das sich auf die bundesweite Vermietung von Kleinbussen spezialisiert hat, »Carl und Carla«, hat das Gebäude in der Lößnitzstraße als Firmensitz erworben. Eine Aufstockung soll zusätzliche Büroarbeitsplätze schaffen, für die der jetzige Bestand nicht ausreicht. Es ging im Ergebnis auch um die maximale Ausnutzung des Grundstücks bzw. des Bestandsgebäudes und damit um ein klassisches Thema der Projektentwicklung. Und nahezu immer, wenn es um eine Extremwertaufgabe innerhalb eines unbeplanten Innenbereichs im Sinne von § 34 Baugesetzbuch (BauGB) geht, sind eine sehr gute Planung und viel Verhandlungsgeschick gefragt.
Bestandsanalyse
- Das Objekt besteht aus drei Geschossen mit unterschiedlichen Geschosshöhen. Die Höhen der oberen beiden Büroetagen waren wiederum zu gering, um größere Teambüros zu schaffen, da sie den Arbeitsstättenrichtlininen widersprochen hätten.
- Der Bestand folgt keinem einheitlichen Konstruktions- bzw. Planungsraster.
- Die Tragkonstruktion besteht zum Teil aus Porenbeton-Außenwänden, die kaum zusätzliche Lasten verträgt.
Rechtlicher Hintergrund (§ 34 BauGB)
Unbeplanter Innenbereich – was heißt das praktisch?
Ein häufig zu lesener Textbaustein in Exposés: »Es gibt keinen Bebauungsplan. Vorhaben müssen sich an der Nachbarbebauung orientieren.« Doch was heißt das genau?
Man kann sich das so vorstellen: Jedes Vorhaben im Sinne des § 29 BauGB (d. h. die Errichtung, Änderung und Nutzungsänderung von baulichen Anlagen) fällt in eine der drei Kategorien:
- Lage innerhalb der Grenzen eines rechtskräftigen Bebauungsplans (§ 30 BauGB)
- Lage im Außenbereich, das heißt: im Bereich außerhalb einer Planung (§ 35 BauGB). Dabei kann es sich um eine unbebaute Landschaft aber auch um einen Stadtpark handeln. Der hier gemeinte Außenbereich hat nichts damit zu tun, ob sich ein Vorhaben innerhalb oder außerhalb einer geschlossenen Ortschaft befindet.
- Lage im unbeplanten Innenbereich (§ 34 BauGB)
Während ein Vorhaben genehmigungsfähig ist, wenn es sich an die Vorgaben eines Bebauungsplans hält und Bauen im Außenbereich im Grundsatz verhindert werden soll (selbstverständlich gibt es zahlreiche Ausnahmen und privilegierte Vorhaben), hat der Gesetzgeber für den unbeplanten Innenbereich quasi generell geplant. Sofern die Einfügekriterien im Sinne von § 34 BauGB eingehalten werden, die Erschließung gesichert, gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse gewahrt bleiben und das Ortsbild nicht beeinträchtig wird, besteht Baurecht. Nur ist das Sich-Einfügen viel weniger konkret zu fassen als bei einer Lage innerhalb eines Bebauungsplans. Insofern kommt es auf den Einzelfall, die Sichtweise und Kompetenz der Vertreter der Genehmigungsbehörde, den Entwurf und - nicht zuletzt - Verhandlungsgeschick an.
Im Osten Deutschlands kommt dem § 34 BauGB eine besondere Bedeutung zu, da es dort verhältnismäßig wenige Bebauungspläne gibt. Bebauungsplanverfahren sind aufwendig (und somit teuer), dauern lange und sind in Gebieten, die bereits dicht und relativ homogen bebaut sind, häufig schlicht unnötig - eben, weil der 34er-Paragraph hier ausreicht.
Welche Einfügekriterien gibt es?
Grundsätzlich kann über den § 34 BauGB nicht mehr gefordert werden als in einem Bebauungsplan festgesetzt werden könnte. Die möglichen Festsetzungen eines Bebauungsplans sind in § 9 BauGB abschließend aufgeführt. Das heißt auch, dass gestalterische Themen wie zum Beispiel die Dachform (z. B. Satteldach oder Flachdach), die Größe und Ausrichtung von Fenstern oder die Materialität und Farbe der Fassade bei der Zulässgkeit eines Vorhabens im unbeplanten Innenbereich keine Rolle spielen darf - zumindest sofern das Ortsbild nicht beeinträchtigt wird. Und hierfür liegt die Latte hoch! Das ist wichtig zu wissen, da dies ein häufiger Streitpunkt zwischen Gemeinde, Genehmigungsbehörde und Planer darstellt.
Vielmehr sind die Einfügekriterien in § 34 BauGB abschließend geregelt:
- Art der baulichen Nutzung (also z. B. Wohnen oder Gewerbe)
- Maß der baulichen Nutzung (z. B. Größe und vor allem Höhe eines Vorhabens)
- Bauweise (hier ist die geschlossene oder offene Bauweise gemeint. Also, ob mit oder ohne seitlichem Grenzabstand gebaut werden darf oder muss)
- überbaubare Grundstücksfläche (hier sind vor allem die sogenannten faktischen Baugrenzen gemeint. Also, ob sich aus der Nachbarbebauung eine vordere und hintere Tiefe der Bebauung ableiten lässt.)
Woran orientieren sich die Einfügekriterien?
Das Vorhaben muss sich in die »Eigenart der näheren Umgebung« (§ 34 Abs. 1 BauGB) einfügen. Man kann sich leicht vorstellen, dass die Rechtsprechung zu diesem Thema Bände füllt, sodass an dieser Stelle nicht ausführlich darauf eingegangen werden kann. Doch gelten im Grundsatz als Bezugsgrößen legal errichtete Gebäude (mit Aufenthaltsräumen) in der näheren Umgebung, die in einem wahrnehmbaren Bezug zum Vorhaben stehen.
Das bedeutet einerseits, dass ein rechtskräftiger Bebauungsplan, der für die gegenüberliegende Straßenseite gilt, keinen Maßstab für das Vorhaben bildet, wenn und solange dort noch keine Gebäude errichtet worden sind.
Und es bedeutet andererseits, dass ein relativ hohes Gebäude, das sich in der näheren Umgebung befindet, und während der Planungsphase der hier besprochenen Aufstockung zumindest im Rohbau errichtet worden ist, plötzlich einen Teil des Einfügemaßstabs bildet. Insofern kann etwas Geduld - wie in diesem Fall - planungsunterstützend wirken.
Der Entwurf – Architektur mit Feingefühl
Form finden und Form setzen
Der großmaßstäbliche Bahndamm stellt einen starken Bruch innerhalb des städtebaulichen Gefüges dar. Gleichzeitig kann das sich hochwertig entwickelnde, ehemals industriell genutzte Quartier zwischen Lößnitz- und Marta-Fränkel-Straße einen städtebaulichen Hochpunkt vertragen. Wir sind also mit der Erweiterung um zwei Vollgeschosse ins Rennen gegangen.
Staffelung als Geste der Rücksichtnahme
Das westlich benachbarte Kulturdenkmal bedarf besonderer Rücksichtnahme. Die Aufstockung ergänzt den Bestand um zwei Geschosse, die gestaffelt sind, um Traufenhöhe und Firstlage des Nachbardenkmals aufzunehmen – und gleichzeitig großzügige Dachterrassen zu schaffen.
Unterschiedliche Geschosshöhen – funktional variable Räume
Die Geschosshöhen der Aufstockung sind größer gewählt als die der Bestandsbüroräume. Auf diese Weise sind größere zusammenhängene Teambüros möglich, die den Arbeitsstättenrichtlinien entsprechen. So können die Bestandsgeschosse wie bisher für kleinere Teams, als Einzelbüros oder für Besprechungen genutzt werden, während die Aufstockung flexiblere und größere Arbeitsplatz-Zonen zulässt. Im ohnehin hohen Erdgeschoss entstehen das bundesweit agierende Call-Center, Sozialräume und ein Büro-Bistro.
Dynamisches Fassadenbild
Das unregelmäßige Konstruktionsraster haben wir zum Anlass genommen, die Fensteröffnungen zu den Seiten sukzessive größer werden zu lassen. Die Straßenansicht wirkt, als gäbe es im Zentrum der Fassade einen Fixpunkt, von dem sich aus die Fenster nach oben, unten, rechts und links fast unmerklich ausdehnen.
Erfolg durch Visualisierung
Hatten Vertreter des Dresdner Stadtplanungsamts eine Aufstockung um zwei Vollgeschosse während des Planungszeitraums zunächst kritisch gesehen, so konnte eine Visualisierung unseres Entwurfs so überzeugen, dass die hier gezeigte Planung eine positive Antwort auf unsere Bauvoranfrage erhielt. Carl und Carla haben somit durch einen rechtsverbindlichen Bauvorbescheid Planungssicherheit erhalten.
Darauf lässt sich in Zukunft aufbauen.
Zahlen, Daten, Fakten
Architekt LPh 1-2: Unnewehr Packbauer Architekten, Leipzig
Bauherr: CuC Immobilien GmbH »Carl und Carla«, Dresden
Fotos: KI-gestützt, upa Leipzig
Planungsbeginn: 2020